Übersicht

Die Christengemeinschaft in Siegen und das Lebendige Haus

Dieser Artikel erscheit am 27.06.25 als 13. Teil einer Serie zum 100 - jährigen Bestehen des Jung-Stilling- Kreises Siegen, die in den vergangenen Wochen in loser Reihenfolge in der Freitagsinfo der Waldorfschule Siegen und auch der Freitagsinfo der Johanna Russ Schule erschienen ist. 

Die Christengemeinschaft in Siegen

Die Christengemeinschaft wurde 1922 in Dornach von 45 Priestern durch die Hilfe Rudolf Steiners als Bewegung für religiöse Erneuerung gegründet. Die ersten Gemeinden entstanden zunächst in ganz Deutschland und erstrecken sich heute fast über die ganze Welt.

Die Entstehung der Gemeinde in Siegen ist in erster Linie dem Ehepaar Dr. Hans und Ruth Müller zu verdanken. Er war Oberstudienrat am Gymnasium am Löhrtor und sie lernte in ihrem Studium in Marburg die Christengemeinschaft und den Priester Lic. Robert Goebel kennen, der schon 1925 zu einem ersten Vortrag nach Siegen kam. Aus diesem Impuls wuchs langsam die Gemeinde. Nach dem zweiten Weltkrieg bekam die kleine Gemeinde an der Frankfurter Straße von einem Mitglied ein Trümmergrundstück geschenkt, auf dem eine alte Baracke neu aufgestellt und als Kirchraum hergerichtet wurde. Dort entfaltete sich ein reges Gemeindeleben. Nun konnte auch ein eigener Priester nach Siegen entsandt werden. Paulus Balles vermochte so zu den Herzen der Menschen zu sprechen, dass viele Menschen in ihrem religiösen Leben gestärkt wurden und die Anthropo­sophie in ihr tägliches Leben aufnahmen. Er hatte den Impuls Religion mit sozialem Leben zu verbinden. Daraus entstand die Gründung des Christofferhauses, ein Altenheim mit angebauter Kirche auf dem Häusling. Gemeindeleben und Altenheim befruchteten sich gegenseitig und alle weiteren anthro­posophische Initiativen, z.B. Kindergarten und Waldorfschule, wuchsen daraus hervor. Anfang der 2000ner Jahre musste das Christofferhaus aus baurechtlichen Gründen neue Wege gehen und ist inzwischen unabhängig von der Christengemeinschaft. Für die Gemeinde war die Trennung vom Altenheim eine neue Heraus­forderung, aber auch Chance, nun ganz eigenständig und aus sich heraus das religiöse Leben zu entfalten.

Braucht es eigentlich heute, wo jeder seinen eigenen religiösen Weg gehen kann noch eine Kirche? Und diejenigen, die sich mit der Anthroposophie beschäftigen, wofür brauchen sie noch eine Kirche, da die Anthroposophie genügend Möglichkeiten aufzeigt, sich spirituell und religiös zu vertiefen? Diese Fragen standen von Anfang an zur Diskussion und werden immer noch gestellt. Der spirituelle Weg der Anthroposophie und der religiöse Weg der Christengemeinschaft schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich und führen irgendwann zusammen. Die Frage, ob es heute überhaupt noch sinnvoll ist, Kirchen und religiöse Gemeinschaften zu bilden muss auch mit Ja beantwortet werden. Viele Menschen haben heute ein sehr individuelles, religiöses Bedürfnis und pflegen es auf ihre Weise. Von den Kirchen wollen sie aber nichts mehr wissen, da deren Strukturen, Denk- und Glaubensinhalte zu fest oder hohl geworden sind. Trotz allem, im gemeinschaftlichen Gebet werden andere Kräfte erzeugt als im persönlichen Gebet. Darum ist es sinnvoll beides zu pflegen.

Die Christengemeinschaft ist eine freie Kirche, die natürlich auch äußere und innere Strukturen braucht. Aber es gibt in ihr keinen vorgeschriebenen Glaubensinhalt. Die Lehrfreiheit der Priester und die Freiheit jedes einzelnen Menschen ist die Voraussetzung für ein individuelles Gemeinde­le­ben. Im Zentrum stehen die 7 Sakramente: Taufe, Konfirmation, Menschenweihe­handlung/­Abend­mahl, Schicksalsbejahung/Beichte, Priesterweihe, Trauung und Letzte Ölung/Sterbesakramente. Pflegt jeder sein individuelles Gebet und religiöses Leben zu Hause, so kommen wir zum gemein­samen Gebet in der Menschenweihehandlung zusammen. In der meditativen Andacht und inneren Hingabe an die göttliche Welt verbinden wir uns mit dem auferstandenen, gegenwärtigen Christus, der heute in uns Menschen und in der Erde lebt und erfahrbar wird. Auch im Gemeindeleben, das die Mitglieder, Freunde und Priester gemeinsam gestalten, ist es uns wichtig, Irdisches und Himmlisches zu verbinden, im Alltag Göttliches zu entdecken, Wissenschaft und Religion zusammen­zuführen. Sein eigenes Leben bewusst zu gestalten, Gebet und Andacht zu pflegen und den spirituellen Zusammenhang in der eigenen Biographie zu entdecken ist freie Aufgabe jedes Einzelnen in Selbstreflexion und kann durch die Seelsorge und dem Sakrament der Schicksals­bejahung eine göttliche Stärkung erfahren.

Die Christengemeinschaft lebt in wirtschaftlicher Hinsicht ausschließlich von den Beiträgen ihrer Mit­glieder und Zuwendungen fördernder Freunde.

Pfarrerin Wiebke Goebel, November 2024

 

Das lebendige Haus

Das Lebendige Haus wird als Generation-Verbindende Genossenschaft betrieben. Anfangs waren mehr als die Hälfte der Bewohner mit der Anthroposophie verbunden – vielfach durch die unmittelbare Nachbarschaft mit der Kirche der Christengemeinschaft. Es sind inzwischen – bedingt durch Todesfälle – deutlich weniger Menschen geworden. Es wohnen aber immer noch Persönlichkeiten da, die an den Lebensfeldern der Anthroposophie interessiert und aufgeschlossen gegenüber stehen. Sei es der Bezug zur biologisch-dynamischen Landwirtschaft, der Waldorfbewegung im Kindergarten und Schule oder der anthroposophischen Medizin.

Einige der älteren Bewohner freuen sich, dass in der Bibliothek die Jahreszeiten Imaginationen gelesen werden. Im gleichen Raum findet ein wöchentlicher Lese- und Arbeitskreis statt.

Roswitha Kloiber

Das dritte Bild zeigt die damalige Gesamtarchitektur von Kirche und lebendigem Haus. Das Programm des Hauses ist im Internet abrufbar. Jede und jeder ist herzlich willkommen.