"Spannend war es nicht gerade." Mit diesem Satz beginnt ein Schüler der neunten Klasse die Theaterkritik, die wir im Deutschunterricht verfassen, nachdem wir im Saal unserer Schule das Stück "Der Besuch der alten Dame" von Friedrich Dürrenmatt gesehen haben. Neben der Klasse 9 waren auch die Klassen 8, 10, 11 und 13 anwesend, als die Theater-Gruppe "Überall-Theater" am vergangenen Dienstagmorgen ihr Debüt bei uns gab. Die vier Darsteller:innen reisen von Schule zu Schule, um Theaterstücke auf die Bühne zu bringen. In einem Nachgespräch erzählte mir die Leiterin der Schauspiel-Gruppe, dass sie manchmal auf Schülerinnen und Schüler stoßen, die noch nie in ihrem Leben ein Theaterstück gesehen hätten. Wie froh und dankbar ich bin, dass das bei uns an der Waldorfschule anders ist. Die Unterrichtsgespräche im Nachgang waren lebhaft. Kritisiert wurde, dass man einen der Schauspieler nur sehr schlecht verstand. Auch war die Geschichte um das Dorf in Güllen und den Besuch der alten Dame nicht immer ganz nachvollziehbar. Gelobt wurde jedoch, dass das Publikum ins Geschehen einbezogen wurde und was man mit wenigen Requisiten auf der Bühne erschaffen konnte. Neben dem Blick auf eine gelungene Theaterinszenierung bot das Stück zudem Gesprächsstoff zu moralischen Werten. Darf man für Geld einen Mord begehen? War es überhaupt Mord oder ist Alfred nicht vielmehr seinem schlechten Gewissen und dem Verfolgungswahn unterlegen? Und, hatte er es nicht auch ein wenig verdient, nachdem er in seiner Jugend solch ein Schuft gewesen war? Fragen über Fragen und spannende Auseinandersetzungen in den Klassen. In der Oberstufe strebt die Waldorfpädagogik an, dass Schülerinnen und Schüler in ihrer Urteilsfähigkeit gefördert werden. Ein Theaterstück dieser Art lädt, wie aufgezeigt, auf mehreren Ebenen dazu ein. Anabell Dreber |